Tarifautonomie: HDE fordert mehr Gestaltungsfreiheit für Tarifvertragsparteien
Wie aus Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervorgeht, ist die Tarifbindung im Einzelhandel im Jahr 2020 bundesweit erstmals seit vielen Jahren wieder leicht angestiegen.
Demnach legte die Anzahl der Einzelhandelsbeschäftigten bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber mit Branchen- oder Haustarifvertrag im Vorjahresvergleich um einen Prozentpunkt auf nun 29 Prozent zu. Der Handelsverband Deutschland (HDE) weist insbesondere darauf hin, dass bei isolierter Betrachtung des Branchentarifvertrags im Einzelhandel im Vorjahresvergleich sogar wieder ein Anstieg der Tarifbindung um zwei Prozent zu verzeichnen ist.
„Diese Entwicklung ist natürlich erfreulich und eine Trendwende. Zurückzuführen sein könnte sie auch auf den zunehmenden Fachkräftemangel in der Branche“, erklärt Steven Haarke, HDE-Geschäftsführer für Arbeit und Soziales. Man müsse allerdings berücksichtigen, dass sich nach den Daten des IAB weiterhin auch viele der nicht tarifgebundenen Unternehmen am Branchentarifvertrag orientieren, etwa beim Entgelt. So findet dieser bundesweit sogar noch für knapp zwei Drittel aller Beschäftigungsverhältnisse im Einzelhandel Anwendung.
Die in einigen Bundestagswahlprogrammen enthaltene Forderung nach einer Erleichterung bei der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) von Tarifverträgen bewertet der HDE hingegen sehr kritisch. „Das wäre ein erheblicher Eingriff in die Tarifautonomie, der keinesfalls gerechtfertigt ist. Die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen muss die Ausnahme bleiben“, so Haarke weiter. Arbeitgeber machten von ihrem verfassungsrechtlichen Recht auf negative Koalitionsfreiheit Gebrauch, wenn Sie sich bewusst gegen eine Tarifbindung entschieden.
Zudem lässt sich die Tarifbindung in einer Branche aus Sicht des HDE über eine AVE nicht effektiv erhöhen, weil dadurch die Akzeptanz der Tarifverträge nicht gestärkt wird. Vielmehr erfolgt eine staatlich angeordnete Erstreckung auf die nicht tarifgebundenen Unternehmen der Branche. Die Tarifbindung wird nach Auffassung des HDE nur dann wieder steigen, wenn den Unternehmen zeitgemäße und praktikable Tarifverträge angeboten werden. „Die enorme Regelungsdichte mit immer neuen Gesetzen im sozialpolitischen Bereich hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die Sozialpartner erheblich an Gestaltungsspielraum eingebüßt haben“, betont Haarke. Traditionelle Felder der Tarifpolitik seien zurückgedrängt worden, insbesondere durch die zunehmend politisch motivierte Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns.
Der HDE fordert den Gesetzgeber daher auf, die Tarifautonomie wieder zu stärken. „Was die Sozialpartner jetzt wirklich benötigen, sind zusätzliche Öffnungsklauseln auf Basis des Status quo, um in Tarifverträgen passgenaue Lösungen für eine Branche zu verhandeln“, so Haarke. Aber auch die Idee der modularen Tarifbindung sei sehr interessant. Demnach sollen nicht tarifgebundene Unternehmen die Wahlmöglichkeit erhalten, sich auch nur einzelne Module wie etwa den Entgelttarifvertrag aus einem gesamten Tarifwerk auszuwählen. „Dadurch sinkt die Schwelle, eine Tarifbindung einzugehen und die Mittelstandstauglichkeit steigt enorm“, so Haarke weiter.